Hinter den Kulissen – Eine Fahrstunde aus der Hölle
Hinter den Kulissen – Eine Fahrstunde aus der Hölle
Ihr lieben Beutelfreunde, wir geben es zu, das Blog-Leben ist über den Winter ein bisschen eingeschlafen ABER frohlocket ihr Liebhaber des gebeutelten Witzes: Heute gibt es wieder ein besonderes Schmankerl.
Vielleicht könnt ihr Euch noch daran erinnern, wie ich im August versuchte, einen ganzen DRK-Lehrgang ohne Posttraumatische Belastungsstörung und einem Schädel-Hirn-Trauma zu überleben. Die anderen Teilnehmer und Teilnehmerinnen machten es mir besonders leicht, im Schadensfall lieber Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, als mir von all den Pubertilos und Georgs das Rückrat brechen zu lassen, weil man die Mund-Mund-Beatmung mit einem traditionellen Trommelkonzert der Aborigines in Mittelaustralien verwechselte.
Wie kams?
Grund dafür war: All das stand ich nur durch, um endlich an ein heiß begehrtes Scheinchen, namens Führerschein zu kommen. Für den weiteren Lebensverlauf könnte dieser tatsächlich Vorteile bringen. Mein Opa allerdings bedachte mich damals, als ich von meinem Vorhaben erzählte, mit einem nachdenklichen Blick und meinte: “Mhm, du, ich traue dir ja viel zu…. aber Autorfahren….”, die letzte Silbe waberte damals weise vor sich hin. Ich winkte nur großspurig ab und sagte gespielt empört: “Aaaaaach, Autofahren ist ja keine Raketentechnik”. Mit der Technik hatte ich mich auch schnell ausgesöhnt, dennoch bedachte ich nicht die Unzulänglichkeiten der Straßenteilnehmer. Ein Lied, dass ich euch heute vorsingen will.
Wie dem auch sei: Mittlerweile habe ich ihn, den Führerschein, in der Tasche. (Pauken und Trompeten bitte) Seit dem 2. Januar bin ich offiziell ein Mitglied des deutschen Straßenverkehrs.
WAAAAAAS? kommt es da von allen, die dem Kalendarium mächtig sind. Ja, zwischen August und Januar vergingen ein paar Monde und ja, ich habe richtig viel Geld ausgegeben. So viel, dass ich irgendwann aufhörte zu zählen und einfach nur noch die Scheinchen aus meinem Portmonnaie pflückte. Ein bisschen kam ich mir wie eine sehr alte Dame vor, die mit klappernden Goldarmreifen ihrem Chauffeur die grünen Hunderter mit lackierten Fingernägeln in die Sakkotasche steckte, um dann zu schnurren: “Gib aber nicht alles auf einmal aus, Schätzchen.”. Der Unterschied liegt gewissermaßen nur darin, dass ICH, Mitte 20 und abgebrannte Beuteldesignerin, der Chauffeur in der Geschichte war. Mein Fahrlehrer war eine Seele von Mensch, er hatte es wirklich nicht leicht mit mir.
Kurz: Fahren ist wirklich eine ganz besondere Art der menschlichen Fortbewegung und da ich euch gern an meinem Lernprozess teilhaben lassen möchte, erzähle ich Euch von einer einzigen Fahrstunde. Wichtig ist: All das ist wirklich in exakt nur 90 Minuten geschehen. Ich nenne sie liebevoll die Fahrstunde aus der Hölle.
Hier das Protokoll:
Minute 1
Ich steige in den weißen Ford und lege den Sicherheitsgurt an. Gewohnheitsmäßig richte ich mich häuslich ein und drehen bis mein Fahrlehrer kommt etwas zu verträumt am Seitenspiegel. Es ist Nachmittag. Die Spätsommersonne steht tief und irgendwo höre ich das Ferne Rauschen der Straße. Meiner Straße, denke ich und starre in den Rückspiegel wie ein Sheriff kurz vor einer Schießerei. Im Hintergrund könnte jetzt diese Westernmusik spielen, vielleicht rollt auch eines dieser Wüstenpuschel hinter mir über den Parkplatz. Die Sensoren schlagen aus, es piept. Es war kein Puschel, sondern nur mein Fahrlehrer. Er setzt sich ins Auto. Ich darf starten.
Minute 3
Ich trete die Kupplung und nehme mir vor, heute besonders gefühlvoll mit dem kleinen weißen Auto umzugehen. Überkonzentriert rolle ich langsam auf die Straße und warte auf dem Bürgersteig, dass sich das Straßenbild lichtet und ich konsequent mit dem ersten Gang abbiegen kann. Es dröhnt, ich schalte ruckartig hoch. Ein bisschen wie bei TheFastAndTheFourious denke ich mir. Der Motor heult. Schalten lohnt nicht mehr, munkel ich nach hundert Metern, ich soll links abbiegen. Haha! Das habe ich geübt. Die Ampel wird gelb, ich rolle trotzdem auf die Kreuzung. Immer schön den Gegenverkehr durchlassen. Ich bleibe mitten auf der Kreuzung stehen. Warte. Der Gegenverkehr reißt nicht ab, offenbar gibt es irgendwo Benzin für Dumpingpreise oder Schuhe, es ist Sommerschlussverkauf. In der Ferne nähert sich ein Automobil und bleibt an der Ampel stehen. Ich warte und versuche die Pferdchen unter der Motorhaube anzufeuern. Es stottert, stockt, schweigt. Wir stehen, abgewürgt. Natürlich. Ich werde hektisch. Mit geübten Handgriffen starte ich den Motor neu und rolle schon langsam los. Plötzlich kommt Bewegung in die Kreuzung. Man hat nun Grün. Höflich wartet man links von mir, gibt Lichthupe. Man versteht meine Lage. Fahrschule eben. Ich bedanke mich, lenke ein.
Gerade rolle ich an, da sehe ich von rechts einen maßlos verstaubten Kia auf mich zu kommen. Sehr langsam. Ich bremse. Der Fahrer hinter dem Steuer brüllt, während er sich nähert und hämmert mit den fleischigen Fäusten auf das Lenkrad. Es hupt. In Dauerschleife. In Zeitlupe zieht er an mir vorbei. Auf seiner hochroten Stirn bilden sich Wassertröpfchen, eine Ader tritt an der Schläfe hervor und puckert im Takt der Hupe. Tuut-tuut, puck-puck, Tuuut-tuuut, puck-puck… Die Augen der alten Mannes treten kolossal hervor, während er lautlos gegen die Scheibe schreit und ein feiner Sprühnebel aus Spucke und Wut am Glas wie Tautropen haften bleibt. Sehr langsam schüttelt die ebenfalls fette Frau neben ihm die Kopf, ihr Kinn schlackert. Sie schaut mich mit einem Siehstegesicht an. Mittlerweile sind wir mit dem Kia gleichauf. Er gondelt links an mir vorbei. Sehr langsam. Wir wissen beide, der dicke Mann und ich, dass er diesen Augenblick genießt. Endlich mal eine Fahrschule so richtig zur Schnecke machen. Ich starre ihn an und …. lache. Er brüllt weiter, dann ist er an mir vorbei.
Minute 4-30
Der possierliche Austausch von Höflichkeiten dauerte vielleicht nur eine Minute. In Rekordgeschwindigkeit war ich durchgeschwitzt. Maßgeblich, weil ich nun anfing, meinerseits zu fluchen. Offenbar kann ich mit derartiger Fremdbekundung meiner eigenen Unfähigkeit nicht umgehen, soviel Selbstreflexion blieb mir. Zumindest analysierte ich diese Szenerie sorgfältig im Nachfolgenden, wobei ich eine besonders hohe Schimpfwortdichte nicht verleugnen konnte. Als mir das gängige Repertoire ausging, erfand ich einfach Neologismen, die sich hauptsächlich auf die Unverfrorenheit jenes Kia-Fahrers bezogen, vielleicht auch auf seine adipöses Gesamterscheinung. Ich lief zu Höchstformen auf. Die nachfolgende Fahrstunde hätte ich also getrost in die Tonne treten können. Wäre ich mitten auf besagter Kreuzung ausgestiegen, hätte die Arme in die Luft gerissen und gebrüllt: “Das wars, ihr motorisierten Macho-Mikroben. Ich geh zu Fuß, macht doch euren Scheiß hier alleine!” hätte ich vermutlich mehr gelernt.
Minute 30
Nach einer halben Stunde hatte ich mich beruhigt. Meinem Fahrlehrer verdankten zwei Radfahrer und eine Oma mit Rollator ihre Weiterexitenz. Das Einparken verlief ähnlich holprig, ich überlegte ob es vielleicht wirklich eine gute Idee gewesen war, das Fahren erlernen zu wollen. Die Stimme meines Großvaters klang in meinen Ohren. Vielleicht war ich ja wie eine Giraffe, die das Schwimmen erlernen will. Die meisten Säugetiere können schwimmen, nur die Giraffe hat einfach zu lange Beine. Damit kann ich mich identifizieren. Trotzdem: Wenn man eine kleine traurige Babygiraffe auf dem Drei-Meter-Sprungturm mit Schwimmflügelchen sieht, dann schreit man sie doch auch nicht an, dass sie jetzt gefälligst springen soll. Meinen Fahrlehrer überzeugt die Giraffenargumentation leider wenig.
Minute 45
Mein Fahrlehrer, ein sehr geduldiger Mann, hatte es sich in den Kopf gesetzt, mir nach dem traumatischen Erlebnis die Angst vor dem Linksabbiegen zu nehmen und schickte mich durch die komplette Dresdner Innenstadt, vorzugsweise peilte er dabei den Campus und den Bahnhof an. Nachmittags um drei. Die beste Zeit um auf Studentenjagd zu gehen. Offenbar glaubte er, dass mich das Aufgebot von studentischen Artgenossen davon abhalten würde, einen meiner Spezies zu überfahren. Studenten haben jedoch nicht nur zu wenig Geld, sondern auch zu wenig Zeit und manchmal auch zu wenig von dem, das man gemeinhin Todesangst nennt. Die meisten hängen an ihrem Leben und rennen nicht bei Rot über die Ampel, andere halten sich für, ganz dem Todestrieb Freuds verpflichtet, übergewichtige Ninjas, denen das Kühlergrill eines Fords nichts anhaben kann. Vielleicht hofften sie auch, dadurch der Klausur zu entkommen. Verwirrt von soviel Lebensoptimismus und gleichzeitiger Dummheit der vermeintlichen Bildungselite, war ich nach der Hälfte der Fahrstunde geistig völlig kaputtgespielt.
Minute 60
Ich.brauche.eine.Pause.
Minute 70
Mein Fahrlehrer und ich beschlossen einstimmig, nachdem ich fast beim Einparken die knallgelbe Front eines anderen Autos zertrümmert hätte, nach Hause zu fahren. Das Einparken könne man schließlich auch vor meiner Haustür üben. Ich möchte nicht sagen, dass ich mich freute, endlich das Lenkrad wieder abgeben zu können, nein, ich konnte es kaum erwarten. Zuhause angekommen suchte ich mir eine Parkmöglichkeit. Parallel zur Straße einparken? Jup, kein Problem. Ich fand eine wunderschöne Parklücke, die im sanften Licht der schwacher werdenden Sommersonne glänzte. Hätte ich eine Parklücke sein wollen, dann wäre ich wohl diese perfekte kleine Lücke geworden. Ich setzte den Blinker, lege den Rückwärtsgang ein. Jetzt würde alles klappen. Noch ein letzter Blick in den Rückspiegel.
Es offenbarte sich ein Bild des Grauens, denn gerade als ich anfahren wollte, huschte ein schwarzer Mercedes verstohlen in meine wunderhübsche Parklücke. Vor Empörung klappte mir die Kinnlade herunter. Ich fühlte mich betrogen, als hätte man mir gerade eröffnet, dass es eine Legende ist: Nein, die Frauenkirche besteht nicht aus Keksteig. Ich starrte meinen Fahrlehrer an, er starrte mich an. Ich schnappte nach Luft wie ein Karpfen und überlegte, welche Schimpfworte ich heute noch nicht abgenutzt hatte. Fachmännisch gondelte mein Fahrlehrer zurück, ließ das Fenster herunter und meinte zum Fahrer: “Junger Mann, das war aber nicht sehr freundlich.” Fern von jedem Schuldbewusstsein explodierte der Angesprochene in seinem besternten Proletenwagen. Dieser Parkplatz sei schließlich für (Zitat) “Leute, die hier wohnen tun”. Nun folgte die Passage, auf die ich wahrlich nicht stolz war: Ich äffte diesen unverschämten Kerl nach und trampelte verbal und über meinen Fahrlehrer hinweg auf seiner sprachlichen Dysfunktion herum, wie man es eigentlich nicht mit Menschen tun sollte, die der deutschen Grammatik nicht mächtig sind. Wie dem auch sei, er blieb stehen, ich musste mir eine andere Lücke suchen.
Fazit
Nun weiß ich, was die ganzen Gangsterrapper immer bedeutungsschwanger mit dem Begriff “Das Gesetz der Straße” meinen. Früher dachte ich, sie reden in unangenehmer Sprechgeschwindigkeit von Drogen, Sex und Gewalt. Dass sie von Crack verseuchten Gegenden sprachen, in denen man lang suchen müsste, um jemandem mit einem vollständigen Gebiss und einem guten Führungszeugnis zu finden. Geschichten über Perspektivlosigkeit und Heroinnadeln in Sandkästen. Stattdessen meinten sie tatsächlich das Deutsche Straßennetz. Hier regiert das wahre Recht des Stärkeren. Nicht wer zu erst kommt, malt zu erst, sondern Dreistigkeit siegt. Autofahren ist ein ständiger Überlebenskampf, bei dem man zwangsläufig die Berührung von Blech und Blech zu vermeiden sucht. Den meisten Menschen, denen man begegnet, würde man auch im normalen Leben nicht die Hand reichen wollen. Die Luft ist verpestet vom stechenden Geruch nach Benzin und Missgunst. Beim Aufahren offenbart sich die wahre Natur des Menschen. So siehts aus.
Wie ich es trotz meiner Anfangsschwierigkeiten schaffte, einen Führerschein zu bekommen, erfahrt ihr im nächsten Beitrag.
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