Beutel-Eule Unterwegs- DRK Lehrgang oder “Da rette ich mich lieber selbst”
DRK Lehrgang oder “Da rette ich mich lieber selbst”
Ich habe einen DRK Lehrgang besucht. “WAAAS?”, fragt sich der ein oder andere Leser. “Ich dachte, du wärst fünfzig, hättest eine diabetische Katze und würdest einen knallroten Corsa mit Puschelanhänger in der Frontscheibe fahren!” Nein. Ich habe keinen Puschelanhänger im Auto, da ich keines habe. Aus dem einfach kühlen Grunde: Ich brauchte nie eines. Als Stadtkind und Studentin in einer Großstadt ist ein Auto ungefähr so hilfreich wie eine diabetische Katze. Gar nicht. Durch Umstrukturierungen in den nächsten Lebensjahren, könnte ein Wagen allerdings unerlässlich sein, sodass ich mir nun mutig ein Herz gefasst habe und das Fahren erlernen möchte. Wie der ein oder andere Autofahrende wahrscheinlich wissen wird, braucht es dafür einen DRK Lehrgang.
Wie alles begann
Im zarten Alter von 17 Jahren saß man noch mit Eierschalen hinter den Ohren auf einer Schulbank bei 30°C und starrte all den Glücklichen hinterher, die eher gehen durften, weil sie sich mit einem selbst gekritzelten Zettel und “Tschühühü ich hab jetzt Fahrstunde” verabschiedeten. Der dezente Hinweis über den Grund des schändlichen Verrates am Klassenverband und dem Proletariat wäre unausgesprochen ebenso klar gewesen, denn der virtuose Fahrlehrer namens Peter veranstaltete live vor der Schuleinfahrt ein Hupkonzert, dass der hypothetische Beethoven mental das Notenbuch zuklappte, weil er der Sonate nichts mehr hinzuzufügen hatte. Der grüne Neid kroch mit allerdings nicht wegen des Fahrenlernens ins Gesicht. Ich wollte, wie alle anderen, einfach eher gehen, hinter ein Steuer wollte ich mich nicht setzen. Wozu überhaupt? Der Bus war meine Limo, die Bahn mein Privatjet. Mit siebzehn ist man anspruchslos.
Heute
Heute, irgendwo “lost” in den Zwanzigern und ohne Führerschein, gelten natürlich immer noch die gleichen Regeln bezüglich der Zulassung. Ein Sehtest muss her und ein DRK-Lehrgang besucht werden.
Achselzuckend meldete ich mich beim Deutschen-Roten-Kreuz: Guten Tag, einen vergeudeten Samstag zum Mitnehmen bitte. Was? Mit oder ohne Idioten? Naaaa packen Sie die Idioten ein, meine nicht vorhandene Katze wird sich freuen. Soweit so gut. Um acht sollte ich da sein, teilte man mir per Mail mit. Vielleicht fängt nun der ein oder andere Student an, japsend nach Luft zu schnappen, aber ja ich habe mich erkundigt, es ist legitim Samstags um acht Uhr eine DRK-Lehrgang zu machen.
Nachdem ich also pünktlich wie ein Deutscher Zug und natürlich zu Fuß im DRK Gebäude ankam, war der Raum schnell gefunden und ich wartete. Putzmunter und mit einem strahlenden Lächeln empfing uns…. nennen wir sie Susanne. Susanne wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass das die längsten acht Stunden ihres Leben werden sollten, da hätte ich auch noch so gestrahlt. Und JA dieser Kurs geht 8, ausgeschrieben: acht Stunden!
DRK in drei, zwo, eins….*
Bisher lief es gut für Susanne. Fast alle waren pünktlich. Außer Achmed. Achmed hatte sich nicht angemeldet, wollte aber unbedingt heute noch teilnehmen, das erklärte er Susanne zehn Minuten lang. Da Zuspätkommer-Achmed immer die gleichen Argumente vorbrachte “Ich bin da. Ich will mitmachen.”, konnte sie ihn schlecht wieder abwimmeln. Ungefähr zur selben Zeit tauchten Fatima und ihre Tochter Ranef auf, auch sie wollten an der lustigen achtstündigen Sause teilnehmen. Zu dritt prasselte ein Potpourri aus Arabisch und Deutsch auf Susanne ein. Susanne war jetzt schon sichtlich durchgeschwitzt und ließ um des lieben Friedens Willen alle drei passieren. Es waren schließlich noch Plätze frei.
Während sich Zuspätkommer-Achmed hinsetzte, durchquerten Fatima und ihre Tochter laut schnatternd den Raum und senkten die Lautstärke auch nicht als Susanne endlich mit ihrer One-Woman-Show beginnen durfte. Man bemühte sich, freundlich über Susanne hinweg zu reden. Mittlerweile war auch Leben in die anderen Teilnehmer gekommen und man checkte sich aus. Puber-Tilo, Checker-Robin, Gregor der Berg und Hysterie-Paule, alle im Schnitt 18-22, betrachteten sich gegenseitig herausfordernd, wippten mit dem Kinn und machten über Blickkontakt schon man die Hierarchien aus. Checker-Robin gewann das Anstarr-Battle, alles tanzte jetzt nach seinem Kommando.
Mutti Katia war mit ihrem Sohnemann angereist und betonte immer wieder, dass sie schon Autofahren könne. Die Referentin nahm es zur Kenntnis, Katia erzählte es daraufhin Mustafa, der neben ihr saß. Der nickte brav, auch nachdem sie es ihm zum zehnten Mal erzählt hatte. Ihrem Sohn war es peinlich, der danebensitzende Rocker Max hielt sich den Kopf, er hatte wohl Migräne. Dieter erzählte, sein Bruder habe auch schon einen Herzinfarkt gehabt, keinen interessiert es. Quassel-Fatima und Kein-Bock-Ranef erhöhten die Lautstärke, denn Checker-Robin machte leider sehr dumme Witze, Paul lachte hysterisch, während Zuspätkommer-Achmed fragte, ob er jetzt schon gehen dürfte. Physiotherapeutin Claudi regte sich laut über Flüchtlinge auf, offenbar hielt sie das schnatternde Mutter-Tochter-Gespann für sehr teuer gekleidete Asylbewerberinnen und Gregor konnte jede Frage mit einem hohlen: “Tot!” beantworten.
Susanne guckte etwas betreten in die Runde und war ein bisschen überfordert, sodass sie schnell zum praktischen Teil kam. Wund- und Unfallversorgung am lebendigen Objekt. Hypothetische Wunden sollten nun verbunden werden. Rassiten-Claudi, Mutti-Katia, Gregor der Berg und Puber-Tilo, seines Zeichens in der Hochpubertät, durften mir Gesellschaft leisten. Puber-Tilo sollte ein Kopfverband angelegt werden, allerdings war er wohl vor Kurzem in die Schmierstoffindustrie groß eingestiegen, sein Haupthaar lies Selbiges zumindest vermuten. Währenddessen ich Gregor vorschickte das Pubertier zu verarzten, übten nebenan Checker-Robbin und sein Spießgeselle Hysterie-Paul am Motorradhelm. Sie spielten “Klopf, Klopf wer ist da” und stupsten ihn liebevoll, gepfeffert viel Schwung mit dem Fuß an.
An dieser Stelle nahm ich mir vor, mich im Ernstfall lieber selbst zu retten.
Als es später zur Wiederbelebung kam, hatten sich Quassel-Fatima und Zuspätkommer-Achmed schon angefreundet und hielten nun zu dritt über alle Stühle hinweg einen Plausch ab. Die Wiederbelebung wollten alle drei nicht mitmachen, schließlich waren das, ihhhh, Gummipuppen. An dieser Stelle kreischte Robbin los, hihihi Gummipuppe. Hysterie-Paule imitierte ein angestochenes Meerschweinchen, geschulte Ohren meinten ein Lachen zu erahnen, Puber-Tilo machte komische Bewegungen Richtung Gummipuppe. Gregor grölte immer noch: “Ahaha, Tot.” Rassisten-Claudi war genervt und witzelte jetzt mit Herzinfarkt-Dieter über Zuspätkommer-Achmed, der es mit der Wiederbelebung der Puppe etwas zu gut meinte und den Beat von “How much is the fish” auf den Brustkorb trommelte, weil er die kichernde Fatima beeindrucken wollte. Ranef musste erst eine halbe Stunde überredet werden, weil sie kein Bock hatte, Quassel-Fatima, die sich nicht minder zierte, stellte ihr Gespräch nur bei der Mund-zu-Mundbeatmung ein.
Puber-Tilo, Hysterie-Paule, Gregor der Berg und Checker-Robin waren mittlerweile echt dicke miteinander und illustrierten nun jeden Programmpunkt des Seminars mit virtuosem Schauspiel und ausladenden Gesten. Realitätgetreu und mit shakespearischen Bezügen stellten sie spritzende Arterien, Schussverletzungen und sehr intensive Herzattacken dar. Dieter meinte bei seinem Bruder habe das auch so ausgesehen, keinen interessierte es.
Fazit
Als stille Beobachterin betrieb ich meine Feldstudien und verlor von Stunde zu Stunde mehr das Vertrauen in meine Mitmenschen. Der offensichtliche Längsschnitt durch die Gesellschaft lässt sich in einem DRK Lehrgang sehr genau nachstellen. Ich habe gelernt, dass ich mich von etwas 50% meiner Mitmenschen nicht retten lassen möchte, da ich entweder a) verletzter aus der Aktion rauskomme, als es vorher der Fall gewesen wäre und b) nicht sicher sein kann, ob der Ersthelfer vielleicht ein Puber-Tilo oder Checker-Robin ist, die die Thermodecke lieber als Superheldencape nutzen. Das heißt, nach wissenschaftlich absolut validen Messverfahren liegt die Chance, bei einem Unfall kompetent gerettet zu werden, bei hochgerechnet 50%.
Na dann, gute Fahrt!
Nachtrag: Ich verließ das Gebäude nach acht Stunden fluchtartig und hörte erst auf zu rennen, als ich in der Bahn Nachhause saß.
*Alle Namen wurde neu vergeben, sind aber vom Originalnamen inspiriert. Dopplungen vom Originalnamen und dem Pseudonym werden nicht ausgeschlossen. Ich kann mir Namen bekanntlich schlecht merken.
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