Beutel-Eule Unterwegs- Der Silbermond ist aufgegangen
Beutel-Eule Unterwegs- Der Silbermond ist aufgegangen
Liebe Beutelfreunde, an diesem Wochenende habe ich meinen Jutebeutel gepackt und mich mit tausend anderen Menschen an die Elbe gestellt, um den Spielmannszug des deutschen Rock/Pops live und in stereo zu genießen. Silbermond gab sich die Ehre und halb Dresden outete sich als Fan. Da der Begriff “Fan” in Bezug auf meine Wenigkeit wohl etwas zu viel verlangt ist und ich dank vorangegangener, aber wegen Zeitmangels abgebrochener Recherche nur einen Bruchteil des neuen Albums kannte, nahm ich mir vor, einfach mal zu gucken wies so wird.
Warum ich als Nicht-Fan und Konzertjungfrau trotzdem dort war und welche Eindrücke ich mitgenommen habe, fragt ihr?
Also das war so…
Ein neuer Job bringt für gewöhnlich immer ein paar Vorteile mit sich. Man kann zum Beispiel günstiger in der Firmenmensa essen, lernt nette Sekretärinnen kennen und während man Geld verdient, gibt es zu Geburtstagen meist Kuchen oder Zwiebelmettbrötchen, mit denen man nette Sekretärinnen zehn Meilen gegen den Wind erfolgreich von eventueller Kontaktaufnahme abhält.
Ob es bei meinem Job Zwiebelmettbrötchen an Jahresjubiläen gibt, ist noch nicht ausreichend ausgekundschaftet. Allerdings erleichtert es natürlich den Einstieg, wenn neue Kollegen ganz begeistert mit Silbermond-Frei-Tickets winken und man sogar mit darf. Warum genau der freie Eintritt in ein ausverkauftes Konzert für den Job relevant ist, sollte an dieser Stelle eher unwichtig bleiben. Die Tatsache allerdings, dass der Freitagabend damit gerettet war, steht in dieser Geschichte im Mittelpunkt.
Erst mal reinkommen
Zunächst einmal bedurfte es eines genauen Studiums der Sachen, die alles nicht mit in die heiligen silbernen Hallen mitgebracht werden durften. Ein bisschen erinnerte die lange Auflistungen mit den vielen roten Kreisen, die alle unheilvoll auf meinem Display leuchteten, an die Einreisebestimmungen nach Nordkorea. Enttäuscht packte ich also meinen Ohrensessel wieder aus dem Jutebeutel, ließ auch den Elektroschocker samt eingebauten Laserpointer daheim und auch mein Schlagstock durfte nicht mit. Um es den Besuchern zu erleichtern, verwies man lieber auf alle Sachen die mitgebracht werden durften. Schlüssel, Portmonnaie und Handy. Selbst Nordkorea würde wenigstens einen Atomsprengkopf samt Langstreckenrakete erlauben. Auch Taschen über A4 und mit einer Dicke von 10cm durften das Innere des Konzergeländes nicht zu Gesicht bekommen. An dieser Stelle lohnt sich der Verweis auf die Diskriminierung von dickem Gepäck und unseren Turnbeutel, denn obwohl viel rein passt, macht er doch einen schlanken Eindruck.
Da ich noch nie kostenlos bei einem Konzert war und nicht wusste, wo nun der relevante Eingang für kulturelle Fanblutsauger (wie mich) zu finden ist, umrundete ich erstmal das komplette Gelände, bis mich mein Kollege endlich verirrt auf der Elbwiese aufgabelte. Nachdem wir vom Sicherheitspersonal dank des lustigen Stempels in Form einer biblischen Frucht eingelassen wurden, fuhr uns zunächst der Geruch von Bier, gebrutzeltem Schwein und Butterbrezeln in die Nase. Alle Stände wurden von den Gabis der sächsischen Randbezirke blockiert, deren Männer gemeinsam in einem separaten Grüppchen standen und sich stumm mit dem schalen Bier zuprosteten. Daneben knutschten Jolien mit Pascal sehr innig zu den noch blassen Tönen von Liedern, die vor 2010 cool waren und sich langsam zum Evergreen mausern wollen. Auf den Haupttribünen saßen alle frühen Vögel auf ihren Hühnerstangen und freuten sich einen Ast, dass sie sogar Sitzplätze ergattert hatten. Man schickte manchmal eine Delegation nach unten, um die Grundversorgung von Bier und Brezeln nicht abreisen zu lassen. Generell konnte ich nur die Heterogenität des Publikums bewundern, denn neben der vielleicht zwanzigjährigen Jolien, die wohl das erste Album in ihrem sehr pinken Kinderzimmer gehört haben muss, stand Marianne mit ihrem Mann, die Selbiges wohl eher hörten, als das letzte Kind gerade das sehr pinke Nest verlassen hatte, um mit einem Musiker namens Karl um die Welt zu touren.
Aus irgendeinem Grund hatte ich bei meiner Zusage zum Konzert weniger bedacht, dass diese meistens Menschen beinhalten und das in großer Zahl. Ich bin kein großer Freund von menschlichem Fremdkontakt und kann ihm auch in Mengen gereicht wenig abgewinnen. Meine Recherche ergab, dass es für ein Konzert genau drei ungeschriebene Regeln gibt:
- Man steht immer da, wo andere Menschen einen Durchgang vermuten
- Vor einem steht immer jemand, der das Wort Kettenraucher auf seine Durchführbarkeit prüft
- 33,33% der Zeit verbringt man mit Stehen und Warten. Stehen und warten auf die Vorband, stehen und warten auf die Umbaumenschen, stehen und warten auf die richtige Band, stehen und warten auf Zugaben.
Durch das offensichtlich genetisch im Menschen grundverankerte Bedürfnis in Reihen zu stehen, ergab sich allerdings der Luxus, meist ausreichend Platz zum Atmen und in meinem Fall unkoordinierten Mitwanken zu haben, sogar Klatschen war möglich.
Die Vorband
Da ich Konzertneuling war, musste ich zunächst darüber aufgeklärt werden, dass vor der richtigen Band eine andere Band spielt, die man Vorband nennt. Weil sie eine Band ist und davor spielt. Klar. Deren Aufgabe ist das sogenannte “Einheizen” der Menge. Auch wenn man hierfür den Einsenbahnerjargon nutzt, fällt es bei Liedern mit melancholischen Tenor eher schwer ein Gefühl “Oh, ich bin sehr aufgeregt” zu erzeugen. Allerdings gab sich der Frontmensch von MISTER ME große Mühe und war von der Menge an Zuhörern begeisterter als ich. Leider stand ich sehr weit hinten und da der Mann sehr schwarz gekleidet war, einen bemerkenswert glänzenden Kahlkopf hatte und die Rückwand der Bühne ebenfalls nachtschwarz war, sah ich meist nur einen haarlosen Kopf rhythmisch durch die Luft sausen, an dessem Ende ohne Zweifel der Frontmann hing. Da die Frontband nie so gut sein darf, wie die richtige Band, für welche die Leute schließlich sauer verdientes Geld gezahlt haben, tranken die Lichtmenschen wahrscheinlich noch einen Kaffee. Das große Licht wurde erst später ausgepackt, da war man sich einig.
Die richtige Band
Das war natürlich, zur Erinnerung, Silbermond. Bevor ich hier mit einem kurzen Abriss vom Konzert aufwarte, möchte ich kurz meine eigenen Bezüge zur Band herstellen. Im Büro war man sich nicht so einig, wie cool Silbermond eigentlich noch ist. Ich für meinen Teil fand sie ziemlich cool. Mit 15. Danach haben wir uns wohl etwas auseinandergelebt, Silbermond und ich. Nachdem ich in meinem eigenen Kinderzimmer die zwei ersten Alben altmodisch noch auf CD hoch und runter gehört hatte und melancholisch die Twilight-Saga dazu schmökerte, habe ich die restlichen Alben leider verpasst und nur die entsprechenden Singles, die dann im Radio in Dauerschleife gespielt wurden, brannten sich auf meine biologische Festplatte. Demnach waren fast alle Lieder des neuen Albums für mich gänzlich neu.
Die Nostalgikerin in mir
Da sich jedoch die Ende der Konzertsaison langsam einläutete, überraschte Silbermond die Nostalgikerin in mir und spielte quer durch alle fünf Alben die größten Hits und ich kannte sie alle. Demnach entpuppte sich der kleine Konzertbesuch nebenbei zu einer wunderschönen Hommage an meine eigene noch nicht allzu fernen Jugend. Wie es wahrscheinlich für viele Menschen der Fall ist, sind Songs wie mentale Links, die innerhalb von kurzen drei Minuten das Lebensgefühl von damals einfangen, als hätte man sie wie in einem Einmachglas im hintersten Gehirnkasten vergraben. Selbst überrascht über meine eigene Textkenntnis dieser späten Millenniumlieder reiste ich also in die blaue Welt meines eigene Kinderzimmers zurück und erinnerte mich gemeinsam mit allen Gabis, Joliens, Pascals und Mariannes neben mir an klitzekleine Mosaike meines Lebens, die ich schon fast vergessen geglaubt hatte. Ein schief gesungener Schulauftritt hier, ein Schwimmbadbesuch mit Pommes da, ein unvergesslicher Regentag dort, ein kitschiger Liebesbrief auf der anderen Seite. Ein Konzertbesuch der Lieblingsband ist für die meisten wahrscheinlich wie das gemeinschaftliche Blättern im großen Buch der eigenen Erinnerungen und irgendwie auch das, was ein gutes Konzert ausmacht.
Nebenbei war die Band an sich natürlich auch sehr süß und in einer niedlichen Dauermelancholie, denn in der Heimat zu spielen, sei sowieso das Beste. Ganz im Pathos der Lieder fielen sehr nachdenkliche Worte, Handylichter tanzten über die Menge, Liebeslieder klimperten von einer Terrasse mit Akustikgitarre und die rockigen Lieder badeten in einem bunten Meer aus Lichtern. Drei Stunden lang feuerte Silbermond also einen Hit nach dem anderen heraus, ohne Punkt und Komma. Pausen machte die Band während der ruhigen Lieder. In stiller Bewunderung hielt ich mir den schmerzenden Rücken nach drei Stunden Herumstehen, während die Frontfrau wie ein Duracellhäschen über die Bühne sprang und nach einer gefühlten Ewigkeit immer noch fantastisch aussah. Das obligatorische Feuerwerk, ohne das eine Dresdner Freitagnacht wohl nicht das Gleiche wäre, beendete das Spektakel.
Was bleibt….
Was bleibt also vom ersten Konzertbesuch? Es war ein schöner Abend mit einer Band, die ich fast vergessen hatte und sich wohl wieder in mein musikalisches Herz gespielt hat. Vielleicht werde ich sie noch einmal besuchen, sogar etwas dafür zahlen und wieder in dem großen Buch meiner eigenen Erinnerungen blättern. Ich werde mich an mein blaues Kinderzimmer erinnern, an die grässlich kitschigen Twilight-Bücher, an die ewig langen Sommer im Schwimmbad, an die zahlreichen Stunden mit den geteilten Kopfhörern, die ganz cool in nur einem Ohr steckten und aus meinem tragbaren CD-Player, später aus dem allerersten I-Pod ragten. Und dann werde ich das Buch zuklappen und im Schein von einem hübschen Feuerwerk wieder nach Hause gehen.
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