Wir spenden – An den Chemnitzer Hospiz- und Palliativdienst
Wir spenden – An den Chemnitzer Hospiz- und Palliativdienst
Endlich haben wir in der letzten Woche den Weg ins Chemnitzer Hospiz gefunden. Es war uns eine Herzensangelegenheit persönlich unsere gemeinsam zusammengetragenen zwanzig Euro zu spenden.
Es war seltsam an diesen Ort zurück zukehren, an welchem man einen geliebten Menschen verloren hat. Trotzdem ist die Erinnerung nicht schmerzhaft oder traurig. Heute möchte ich euch erzählen, wie mein Tag im Hospiz gewesen ist.
Das Hospiz
Das organgefarbene Gebäude strahlt eine sanfte aber überzeugende Ruhe aus. Die elektrischen Schwingtüren gleiten mit einem langsamen Surren auf. Sie brauchen einen Bruchteil einer Sekunde länger als herkömmliche Modelle. Hier hat man Zeit. Im Eingangsbereich stehen dekorative Elemente, von denen man nicht genau weiß, was sie eigentlich darstellen sollen. Man ist sich einig, dass sie hübsch sind. Also bleiben sie stehen.
Der altbekannte Geruch des Hospiz umfängt mich, wie ein alter Freund. Es riecht ganz anders, als in einem Krankenhaus. Eher wie die sehr große Wohnung eines Freundes gemischt mit dem Duft einer halböffentlichen Gebäudes. Im Eingangsbereich liegt ein in roten Samt gebundenes Buch, daneben steht eine Kerze, die im Windzug meines Eintritts hektisch zu flattern beginnt. Die einzige Aufregung weit und breit. Es ist ruhig trotz des gedämpften Stimmengewirrs aus dem verglasten Gruppenzimmer. Eine Selbsthilfegruppe trifft sich. Man isst Kuchen. Ein Lachen quetscht sich durch die Schlitze der schweren Glastüren.
Meine Mission
Ich bin heute mit einer Aufgabe gekommen. Es fällt mir nicht schwer, die oberen Etagen zu erklimmen. Hier leben die Bewohner, hier sterben sie auch. Es ist Kaffeezeit, eine Schwester empfängt mich oben angekommen herzlich, fragt mit einer Spur Misstrauen, wer ich sei, was ich wolle. Ich schildere mein Anliegen und darf passieren. Die Schwester begleitet mich, fragt, was ich noch brauche. Ich verlange nach einem Klebestift und einem Kuli, gebe zu, dass ich etwas schlecht vorbereitet bin. Die Dame winkt ab und meint, ich bekäme auch einen Kaffee und ein Stück Kuchen, wenn ich das wolle. Ich wehre mich nicht. Man wehrt sich nicht gegen Kuchen, so will es das Gesetz.
Entlang der sauberen, terrakottafarbenen Gängen zieht sich ein Geländer auf Hüfthöhe, wie bei einem Ballettstudio. Das Geländer führt mich zum Raum der Stille, ein schlichter, ebenfalls terrakottafabener Raum. In der Mitte steht ein Tisch. Ein Buch mit weisen Zitaten erklärt mir an diesem milden Augusttag die Welt, die Taschentücher stehen in Reichweite. Normalerweise mag ich solche Inszenierungen von Ernsthaftigkeit und Trauer nicht, das fällt mir aber in diesem Moment nicht auf. Die Schwester zeigt mir den eigentlichen Grund für meine Anwesenheit im Raum der Stille: Die Bücher.
Die Bücher
In graues Leinen gebunden stehen sie den Jahren nach geordnet in einem schlichten Regal. Die Jahre reichen bis zum Gründungsjahr zurück. Im Regal stehen viele Bücher. Die Schwester zieht eines hervor und schlägt die richtige Seite auf. Jeder Bewohner bekommt hier eine eigene Seite. Der Name, das Geburts- und Sterbedatum stehen schon geschrieben. Ich hole das Bild heraus. Die Schwester meint, sie hätte ihn ganz anders in Erinnerung.
Die Schwester erlaubt mir, durch die früheren Jahrgänge zu blättern. Viele Seiten sind weiß geblieben, einige Bilder sind zu sehen, letzte Grußworte reihen sich an Engelsbildchen und Glitzerschrift. Ich weiß noch nicht, was ich schreiben soll. Ich wurde darum gebeten. “Du kannst das doch viel besser als ich”, war der Tenor. Ja, schon, vielleicht.
Letzte Worte
Letzte Worte sind ein Ding der Unmöglichkeit. Sie sollen möglichst ehrlich, authentisch und tröstend sein. Dabei sind sie den Hinterbliebenen eine Stütze, sollen aber auch dem Verstorbenen ehren, obwohl ihm diese Worte naturgemäß nicht mehr interessieren dürften. Ich schmiere auf meinen Zettel Phrasen, streiche sie wieder weg. Ich hätte mir vorher Gedanken machen sollen, sinniere ich und nippe an meinem Kaffee. Das Koffein dröhnt in meinen Ohren. Ich hatte heute schon zu viel, das wird mir klar. Ich schweife ab.
Am Ende, denke ich, hat man das Bedürfnis, zusammen zufassen, ein Resume zu ziehen, abzuschließen. Eigentlich ist das Quatsch. Am Ende bringt das nicht mehr viel. Man ärgert sich nur, über die Dinge, die man nicht gemacht hat, die hinten über fielen. Das war nicht sein Stil.
“Weißt du”, sagte er eines Tages zu mir, als wir so nebeneinander auf dem Sofa saßen und schon ein paar Minuten geschwiegen hatten: “Weißt du, am Ende, da wird alles wieder gut.” War das nicht das beste Resume, das man ziehen konnte? Nicht die Vergangenheit ist das, worauf es ankommt, sondern die Zukunft. Selbst dann, wenn es für einen selbst keine mehr geben wird.
Und so schrieb ich auf, was er mir am Ende auf den Weg gegeben hatte. Ich ließ ihn erzählen, nicht mich. Wer war ich denn, in dieses Hospizbuch zu schreiben? Er war der Bewohner gewesen, er hatte hier gelebt, er war hier gestorben. Die letzten Worte an dieses Hospiz gehörten ihm. So krakelte ich also in meiner schlechten Handschrift seinen letzten Gruß an die Welt auf die gestärkten Seiten des großen, grauen Buches. Ich verschrieb mich. Natürlich. Selbst in solch einem ehrwürdigen Moment dominierte der Unperfektionismus. Kurze Panik. Nicht gerade ehrwürdig, sich gerade beim letzten Wort zu verschreiben. Ach, am Ende wird alles gut, dachte ich, schmunzelte und klebte einfach ein zweites Foto drüber, merkt keiner.
Weitere Beiträge
Hier könnt ihr nachlesen, wie wir auf die Idee gekommen sind, an das Hospiz zu spenden.
Aber das Leben geht weiter. Hier gehts zu unserem neuen Mitarbeiter.
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