Beutel-Eule Unterwegs- Zu Gast beim fliegenden Holländer
Der fliegende Holländer?
Nichts verabscheut die Beutel-Eule mehr, als diese furchtbar einfallslosen Länderklischees. “Die Holzpantoffel-Holländer *hahahah* haben Tulpen *hahaha* – Tulpen verstehste? Die Campingwagen müssen in Zukunft mit Windmühlenenergie betrieben werden, denn bald ist da Land-unter*hahahaha*, Meeresspiegel und so.”
Bei dieser Parade der schlechten Länderirrtümer rollt nicht nur der Holländer mit dem Gouda, pardon, Augen. Nein, auch der sich für weltoffen haltende Mensch schüttelt gern an dieser Stelle empört mit dem teuer frisierten Kopf und verzieht dabei den Mund ganz versnobt.
Wie dem auch sei.
Eigentlich dachten wir zu eben diesen Kopfschüttlern zu gehören, doch leider machte ein Holländer, von mir aus auch Niederländer, die ganzen guten Vorsätze mit einem Brunch zu nichte.
Ottendorf, da wo die Otter wohnen
Aus einem Anlass, dessen weiter Differenzierung unnötig sein soll, verschlug es uns samt Beutel in das hinterste Eck der erzgebirgischen Gebirgsausläufer. Genauer: Nach Ottendorf. Ein Dorf, das so klein ist: Würde man an der Autobahnabfahrt beginnen, den Dorfnamen aus den Fenster zu brüllen, rauschte man, noch während man zur letzten Silbe ansetzt, am Ortsausgangsschild vorbei. Trotzdem verhinderte die Winzigkeit des Ortes nicht, dass wir uns im strömenden Regen (es war Pfingsten) drei Mal verfuhren. Da wir uns trotz der Wildwanderung beim letzten Ausflug auf Siri verließen, standen wir, ehe wir uns versahen, auf einer Schotterpisten der grünen sächsischen Pampa, umringt von glotzernden Kühen, die unser Auto für ihre nächste Evolutionsstufe hielten. Nachdem wir Ihnen das Feuer und die Demokratie gelehrt hatten, fuhren wir erneut falsch, sahen ein, dass es mit der Evolutionsstufe doch nicht so weit her war und kamen dann aber über ein hutzelige Straße doch an unser Ziel.
Angekommen eröffnete uns ein Man mit einschlägigem Akzent, auf die Fragen hin, wo denn alle seien, wir wären eine Stunde zu früh und überhaupt, die kommende Gesellschaft sei doch etwas verrückt. Aha, Gott sei dank, wir waren Teil davon. Die Zeitverzögerung gab uns allerdings die Gelegenheit, das Restaurant genauer zu betrachten.
Das Restaurant namens MIO
Die völlig autarke und sehr modern ausgebaute Scheune im heimischen Campingidyll, mutet von außen doch recht alt an, verbirgt aber in ihrem Inneren ein unerwartet stilvolles Ambiente. Der große, gallerieartige Raum des Restaurants gewährte hinter seiner vollverglasten drei Meter fünfzig Fensterfront den Blick auf eine schöne überdachte, holzverkleidete Terrasse und uralte Obstbäume, denen man schon das Biosiegel von der A4 aus ansah. An den gelben Wänden des großen Raumes mit integrierter Wohnküche reihte sich ein riesiges Regal gefüllt mit Kochbüchern in allen europäischen Sprachen. Ein toller Raum.
Nur schade, dass unsere 30köpfige Gesellschaft darin nicht Platz nehmen durfte. Die Doppelbelegung mit einer Taufgesellschaft, die den Termin der Taufe offenbar schon wusste, bevor das Kind auf der Welt gewesen sein musste, machte uns in wohlwollender Abwesenheit den Platz streitig. Zur Erinnerung: Es regnete noch immer aus Kübeln. Es war der Zeitpunkt, dass sogar Noha die Segel einholte mit den Worten: “Nee, dat wird mir hier zu jefährlisch.”, als man uns bat, doch bitte auf der Terrasse Platz zu nehmen. Wir starrten den Wirt mit großen Augen an. Im Hintergrund rumste draußen gerade ein zwei Meter großer Ast herunter.
Unsere Feiergesellschaft, die eher im älteren Semester verbucht werden kann, fand sich langsam ein. Die gequälten Gesichter offenbarten die verhängnisvolle Vorahnungen der kommenden drei Stunden in Nässe, Kälte und ein bisschen Essen. Man war gerade dabei, sich zu arrangieren, da zeigte das Diskussionstalent einiger Anwesenden Wirkung. Zähneknirschend ließ man uns zurück in die gute warme Stube, wo der Platz auch nur bedingt ausreichte, aber wenigstens war man im Trockenen und in meinem Fall in unmittelbarer Nachbarschaft zum Buffet. Von der Taufgesellschaft fehlte zum Glück jede Spur, wahrscheinlich fischte der Priester zeitgleich das Kind aus dem goldenen Pool, als wir ins geheiligte Land einzogen.
Brunch- eine Definition
Der Brunch, der par Definition eine Mahlzeit bezeichnet, die aus Komponenten des Frühstücks und des Mittagessens besteht (das behauptet zumindest Wikipedia), begann mit einer Suppe. Nicht irgendeiner Suppe. Dem Essen der Suppe wurde zunächst ein zwanzig minütiger Impulsvortrag vorangestellt, der minutiöse erklärte, wie man diese Suppe a) zu kombinieren und b) zu essen habe. Nach dem alle Komponenten auf dem marmornen Tresen aufgebaut waren, verzichtete der Holländer großzügig auf Beamer, Powerpoint und Metaanalysen, sondern erarbeite das Ganze in einer Live-Performance. Das Produkt seiner Kombinationskünste reichte er unter ‘Ahs’ und ‘Ohs’ in die Runde und fragte dann: “Wer moechte denn?”. Der Blick fiel auf mich: “Sie seihen sou schmachtend ous!”, säuselte er holländisch und mit Schwung stellte er MIR den Teller vor die Nase.
Ich fühlte mich ertappt und fragte mich, während ich nach zwei Minuten den letzten Löffel zum Mund führte, wie er wohl auf mich gekommen war.
Zugegeben: Die Suppe war SEHR lecker. Hut ab, Chapeau und Gruß an den Koch. Dennoch verbreitete sich der Buschfunk, man solle die Suppe genießen, die folgenden Gänge könnten es danken.
Während also alle nach vorn trabten, ihre Suppe bastelten und sie mit Zunge zwischen den Lippen zurück balancierten, wurde das eigentliche Buffet aufgebaut, dem abermals eine Erklärung vorausging, die auch Sätze wie: “Wänn die Saalaate gruen sin, dann nennt man sie “Gruene Saelaete” und wänn sie rout sin, dann nennt man sie “Route Saalaate”.” Aha, danke. Was haben wir nicht alles gelernt.
Das Essen
Hier folgt wieder ein Loblied an den Koch. Mein Gott, war das gut. Obwohl der Koch meinte, seine Kreationen seien nicht für “Dat jemaine Vojlk”, schmeckte (fast) alles hervorragend. Asiatisch angehaucht, boten sich sehr interessante Geschmacksrichtungen dar, die man so niemals in jeder x-beliebigen Kneipe finden wird und in der sächsischen Pampa ein kleines El Dorado der Geschmacksknospen war, ABER.
ABER
Die ganze erlesene Kreation nützt nichts, wenn nach zehn Minuten alles leer gefuttert ist. Mit traurigem Blick kratzte ich also in einer dieser kleinen silbernen Warmhaltepfannen herum. Da das Ragout leer war, erdreistet sich meine Nachbarin, die davon noch nichts gesehen hatte, zu fragen, ob denn da noch etwas nachkäme.
Zeurenden
An dieser Stelle wurde aus dem Holländer der fliegende Holländer, denn er flog förmlich in die Luft. (Dazu bitte die Strophe “Ich heb ab”, von Sido im Hinterkopf behalten.) Wir, ich und meine Nachbarin, die sich etwas zu sehr am Ikea-Teller festklammerten, wurden belehrt, dass es wohl nicht sein könne, dass wir JETZT noch etwas haben wollten. “Dat ist ain Brunschhh, da jiebt es kallte und warme Spaisen.” “Sechs Jielo Fleisch”, habe er insgesamt verarbeitet. 200g für jeden. Wir starrten ihn mit großen Augen an, starrten die drei kleinen Behältnisse an, ich trabte wortlos an den Tisch. Ok, Ragout ist aus.
Der fliegende Holländer beließ es aber nicht dabei, sondern richtete sein Zeurenden (dt. Gemecker), an die komplette Belegschaft. Man dürfe halt nicht so viel essen und müsse den anderen noch was übrig lassen. Dreißig Augenpaare starrten ihn an, es war mucksmäuschenstill, irgendwo weinte das noch ungetaufte Kind. Nach der Brandrede, knabberte man wieder am Zwieback herum, denn Brötchen gab es keine und versuchte zu verstehen, was gerade passiert war.
Das Tiramisu-Gate
Nachdem ich also eingesehen hatte, dass ich so schnell kein Ragout bekommen sollte, wurde das Tiramisou ausgerufen und ich witterte meine Chance, heute doch noch was in den Dessertmagen zu bekommen. Artig stellte ich mich hinten in der Reihe an und als ich gerade den großen Löffel überreicht bekam, erschien mir abermals der fliegende Hollander mit einem lauten: “Nain!”.
Ich starrte ihn an, er starrte mich an. Wir starrten uns ein bisschen zu lange an. Ich kippte den Kopf, versuchte herauszufinden, ob er scherzt. Er kippte den Kopf, wiederholte sein holländisches “Nain”. Ich würde mir jetzt kein Tiramisu auftun, postulierte er, denn das sei noch nicht freigegeben. Es käme noch Eis. Hinter mir hörte ich leises Kichern und Johlen von meinem Tisch. Peinlich.
Ich sagte, ich wolle kein Eis und steckte den Löffel in das Tiramisu. “Naaaaain!”, kam es wieder. Jetzt barscher. Warum? Ich würde sonst wieder alles wegessen, mir einen Berg auftun und ALLES alleine auffuttern, ohne an die anderen zu denken. Gerade überlegte ich, wie viel Tiramisu es wohl brauchte, um wirklich einen Berg zu formen, da war ich plötzlich tief beleidigt. Ich fragte ihn, ob ich mich jetzt wieder setzten solle. Er nickte. Ich warf ihm einen würdevollen Blick der Todesverachtung zu und ließ den Löffel mit spitzen Fingern mitten in das angeknabberte Tiramisu fallen. Wenn ich es nicht haben sollte….
Ich setzte mich. Das Tiramisu wurde freigegeben. Ich blieb sitzen. *Dramatische Musik spielt auf*
Ab jetzt schickte ich nach meinem Nachtisch. Ich wollte mich zwar nicht mehr als egoistisches und verfressenes Tiramisumonster verunglimpfen lassen, hauptsächlich aus Angst ich könnte tatsächlich enttarnt werden, aber auf Nachtisch wollte ich eben auch nicht verzichten. Man sieht, dass Konsequenz nicht gerade eine meiner Tugenden ist.
Zwischenzeitlich wurden die Tiramisulöffel knapp, des Holländers Frau fragte, ob wir denn die Löffel alle abgegeben oder vielleicht auch mit gefressen hätten. Niemand lachte, alle blickten peinlich berührt zu Boden, ein Löffel fiel irgendwo klappernd zu Boden. Einen Löffel bekam trotzdem niemand. Man half sich mit Suppenlöffel aus.
Das Ende der Geschichte
Das fröhliche Tirmaniu-Massaker, das wieder ausgezeichnet schmeckte, fand ein jähes Ende, als die Taufgemeinschaft mit dem frisch überspülten Kind den Saal betrat und sich notgedrungen auf die vom Regen klatschnasse Terrasse setzen musste. Die eintrudelnden Gäste legten in etwas denselben Ausdruck der Erschütterung an den Tag, wie wir drei Stunden zu vor. Wir hatten ein bisschen Mitleid, vor allem da sie nicht wussten, dass der Regen ihr geringstes Problem sein würde.
Wir wurden dann auch höflichst aus dem Saal zitiert, schließlich seien wir ja nicht die Einzigen, die anderen Gäste wollten auch sitzen und überhaupt: Es war ja sowieso nur noch Zwieback da.
Fazit
Der holländische Klaus Kinski der Gourmetküche war im folgenden Tag das Gesprächsthema schlecht hin. Genial, wie auch exzentrisch, spaltete er die Geister, konnte sich allerdings mein Wohlwollen nicht mehr erkochen. Ich bin nachtragend. Sorry.
Wer eine Vorliebe für außergewöhnliche Küche hat und die Sinfonie aus tausend Aromen zu schätzen weiß, der sollte unbedingt nach Ottendorf fahren. Achtung nur vor den Kühen, die streiken in dieser Sekunde gerade für einen höheren Milchpreis. Das Essen ist vorzüglich, der Wirt ist, naja Niederländer.
Nützliche Links
Falls ihr Klaus Kinski gern mal näher kennen lernen wollt.
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